Montag, 21. Oktober 2019

Christiane Maurer I - Farbverläufe in Doppelgeweben


Ich habe Christiane Maurer Juni 2019 anlässlich der Mini- und Micro-Biennale "Scythia" in Ivano Frankivs'k, Ukraine, kennen gelernt. Mich hat ihre kleine Webarbeit sehr beeindruckt. Die subtilen Farbverläufe sind ein Fest für die Augen.  Später haben wir gemeinsam die Textiel-Biennale in Rijswijk besucht, als ich für einen Kurzurlaub in den Niederlanden war. Christiane kommt ursprünglich aus Deutschland, wohnt aber schon seit geraumer Zeit in den Niederlanden

Sie erzählt mir Folgendes über sich und  ihre Kunst:

"Ich habe schon als Kind gerne mit Textilien in allen möglichen Techniken gearbeitet. Als ich ungefähr vierzehn war, sah ich in einem Handwerkbuch Arbeiten der Klöpplerin Leni Matthaei. Ihre Spitzenmotive waren expressionistische Kunstwerke statt der Blümchenmuster die man sonst immer mit Handarbeiten assoziiert. Da sah ich zum ersten Mal, dass man mit Textil auch Kunst, und nicht nur Kunsthandwerk herstellen kann."

"Beeinflust wurde ich zu Beginn von der Afrikanischen Kunst und vom Kunsthandwerk. Ich habe einen Teil meiner Jugend in Johannesburg gelebt und sah täglich auf dem Weg zur Schule Frauen in kleinen Gruppen unter den Bäumen sitzen. Sie stellten an Ort und Stelle aus einfachen Materialien alle möglichen dekorativen und nützlichen Gegenstände her und verkauften sie. Wir hatten zu Hause viele dieser Dinge. Einige habe ich immer noch und freue mich dran: aus Telefondraht geflochtene Schalen, kleine aus Grasbündeln geflochtene Tische, Perlen- und Holzarbeiten."
    
"Ich hatte während meiner Schulzeit ausser in textilen Techniken auch mit Keramik und Glas gearbeitet und einige Jahre bei einem Glaskünstler gejobbt. Nach dem Abitur stand für mich fest, dass ich einen kreativen Beruf wollte. Schliesslich entschloss ich mich für ein Studium Industriedesign an der Universität der Künste in Berlin. Während des Studiums merkte ich bald dass ich lieber über die theoretischen Hintergründe der Gestaltung lernen und aktiv darüber forschen wollte. Ich bekam die Möglichkeit, hierüber an der TU Delft zu promovieren und zog um in die Niederlande, wo ich auch heute noch lebe. Während ich an meiner Dissertation arbeitete, kam der Entwurf zeitweilig zum Stillstand. Einige Jahre später habe ich mir dann aber einen alten Wunsch erfüllt: ich erstand meinen ersten Webstuhl und lernte weben. Diese Technik hat mich nicht mehr losgelassen. Seitdem mache ich freie Arbeiten, und ich entwerfe Stoffe die seriell in der Industrie hergestellt werden. "





"Für mich sind freie Arbeiten und industrielle Entwürfe völlig unterschiedliche Dinge, die ich nicht kombinieren will. Auftragsarbeiten stehen im Dienst des Kunden; eigener Geschmack und Interessen spielen hier keine Rolle. "

Hier ein paar Muster von Christianes Auftragsarbeiten.   


Tulpen
Streifen
Tapas
Meine freien Arbeiten sehe ich dagegen als Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Sie haben eigentlich immer mit Aspekten der Wahrnehmung zu tun, die ich mit textilen Techniken untersuche. So bald eine Frage beantwortet ist, stellt sich die nächste, oft als direkte Folge der neuen Einsicht."







Diese Arbeit wurde in der Scythia-Ausstellung gezeigt
"Ich interessiere mich besonders für die Wahrnehmung von Farben. Ich finde es faszinierend, dass jeder Farbton einerseits genau in diskreten Farbwerten festgelegt werden kann (wie zum Beispiel RGB-Werten), aber dass andererseits Farben immer erst im Zusammenhang mit ihrer Umgebung wahrgenommen werden können und sich dementsprechend mitverändern. In meinen Geweben erkunde ich die Möglichkeiten, die sich hier bieten. Farben entstehen allmählich, treffen andere und reagieren darauf, und manchmal ändern sie sich hierdurch vollständig. 

Anders als die Malerei bietet das Weben viel eingeschränktere Möglichkeiten, um Farben zu mischen und allmählich zu verändern. Ich sehe das als einen Vorteil: wenn ich einen bestimmten Farbverlauf herstellen will, muss ich bei jedem einzelnen Faden entscheiden, welchen Farbton er bekommen soll und wie seine Nachbarn in Kette und Schuss aussehen sollen. Jeder Bildpunkt ist das Resultat einer bewussten Wahl.  Ich verwende nur Garne in diskreten Farben, die also keinen Farbverlauf im Faden selbst haben. Das gibt mir die Möglichkeit, bis ins kleinste Detail zu sehen, was nun eigentlich bei der Farbmischung passiert und welche Effekte dadurch entstehen. 

Am liebsten arbeite ich an meinem 16-Schaft Webstuhl mit Doppel/Mehrfachgeweben. Da man in mehreren Lagen arbeitet, ermöglicht diese Technik scharf abgegrenzte Konturen, aber auch sanfte Übergänge. 

Wie Christiane am Webstuhl arbeitet , zeigt sie auf ihrer Website, die sie HIER aufrufen können . Die Bilder tragen zur Verständnis der Arbeitsweise bei.

"Statt mit einem Skizzenbuch arbeite ich am liebsten am Computer. Da sammle ich alle Ideen zu einem Thema, das ich ausarbeiten will. Hierdurch habe ich Zeichnungen, technische Ausarbeitungen, Materialauswahl usw. an einer Stelle. Ich zeichne mit verschiedenen grafischen Programmen und verwende ein Wacom-Tablet. Die Resultate setze ich um in ein Webprogramm. Dann gibt es noch technische Anweisungen, z.B. über die Reihenfolge der Farbverläufe in Kette und Schuss. Schliesslich muss jede Farbe genau an der ihr zubedachten Stelle vorkommen. Dazu verwende ich Spreadsheets. Dieser Prozess dauert je nach Entwurf etliche Wochen und ich verändere ständig Details – daher finde ich das digitale Arbeiten übersichtlicher.


Ich arbeite in meiner Werkstatt die nur meine Geräte enthält und den Entwurf, an dem ich gerade arbeite. Dekorationen kommen hier nicht rein. Fertige Arbeiten bewahre ich anderswo auf.

Ich experimentiere schon seit einiger Zeit, wie ich Stoff in Bewegung wiedergeben kann.  Ich habe das Gefühl, hier noch ganz am Anfang zu stehen und das reizt mich. Jede Entdeckung führt zu neuen Fragen, die ich erkunden will. Ein spannender Prozess."

Christiane Maurer befasst sich ebenfals mit der Frage:
"Was ist das typische an einem gewebten Stoff? Was nimmt man da eigentlich wahr, wodurch entsteht hier Ästhetik?" 
Wie sie diese Frage - nämlich mittels Stickereien -  für sich gelöst hat,  ist Gegenstand meines nächsten Blogbeitrags in einer Woche.

     


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