Dienstag, 21. Januar 2020

El Anatsui - Upcycling auf höchstem Niveau


Im letzten Sommer reiste ich mit einer Freundin nach München, um dort im Haus der Künste die Ausstellung «El Anatsui: Triumphant Scale» zu besuchen. Der Künstler ist berühmt für seine monumentalen Skulpturen, die er seit vielen Jahren allesamt aus bearbeiteten Flaschendeckeln kreiert. In diesem Medium ist er der unbestrittene Meister.
 
Ausschnitt einer Arbeit
Ell Anatsui wurde 1944 in Ghana geboren, studierte Skulptur bis zum Bachelor und absolvierte dann bis 1969 eine Ausbildung in Kunstpädagogie in Kumasi, Ghana. Bis 1975 unterrichtete er an der «Specialist Training College» in Winneba, ebenfalls in Ghana. Im selben Jahr siedelte er nach Nsukka, Nigeria um, wo er jetzt noch lebt. Dort unterrichtete er Skulptur und Basic Design bis zu seiner Pensionierung 2011.


In den 80er und 90er Jahren beschäftigte er sich hauptsächlich mit Holz, aber auch Ton, Zement und Metall. Schon mit diesen Materialien ging er eigenwillige Wege. Für ihn ist wichtig, hauptsächlich gefundenes Material zu verwenden. Die Zeit ist ein Aspekt in all seinen Werken, welche für endlose Experimente Anlass gibt, das Material und dessen Potential zur Gestaltung eines Werks zu analysieren.



Old cloth Sries / Serie alter Stoff; Holz, Farbe, 80 x 153 cm
Old cloth Sries / Serie alter Stoff, Ausschnitt
Skizzen
Wenn wir den Begriff «afrikanische Kunst» hören, woran denken wir dann? Richtig: Masken, Figuren, Musikinstrumente und mystische (religiöse) Gegenstände, wie wir sie kennen von unseren Besuchen in den europäischen Museen. Diese Kunst gibt es seit dem Ende des Kolonialismus kaum noch in Afrika. Sie ist abtransportiert von den Kolonialmächten, verschwunden in den grössten Räuberhöhlen der Welt (wie z.B. im British Museum,).» Afrikanische Kunst» ist das, was die westliche Welt den Afrikanern seit der Kolonialzeit zugesteht. Afrikanische Künstler, die sich ausserhalb dieser Vorstellungen bewegen, die abstrakt und konzeptionell arbeiten, wurden lange negiert, nicht ernst genommen, denn afrikanische Kunst muss so bleiben, wie sie einmal war, darf nie zeitgenössisch sein.


El Anatsui musste lange auf die Anerkennung der westlichen Welt warten. 1990 erhielt er erstmals eine Honorable Mention an der Biennale in Venedig. An den Osaka Triennalen von 1995 und 1998 wurde er ebenfalls mit Preisen bedacht. Erst ab 2013 wurde ihm die Ehre zuteil, die er längst verdient hatte. Da war er schon fast 70.

Was El Anatsuis Werke mit der Textilkunst gemein haben, ist die Handarbeit. Das aufwändige Flachdrucken der Aluminium Kronkorken, das Schneiden, Verdrehen, Zusammennähen mit Kupferdraht finden ihre Parallelen im Textilen. Die Schönheit der Materialien steht im Mittelpunkt. Auch die Art und Weise wie die Werke aufgehängt werden. Materialien, die nicht flach sind, sondern sich bauschen und falten wie Stoff. Ich denke an die Lausanner Biennalen, wo Magdalena Abakanowicz, die Textilkunst sozusagen erfand. Die Schattenwirkung der Materialfaltung erlaubt eine ganz neue Betrachtungsweise hinsichtlich Positiv-Negativ.
 


Anfänglibearbeitete El Anatsui die Kronkorken elleine oder zur zweit, bis er merkte, dass man so nirgends hinkommt. Heute arbeiten ca. 40 Leute in seinem Studio, bisweilen sogar über 100. Diese drucken und plätten die Kronkorken und "nähen" sie mit Kupferdraht zu Platten zusammen. Daraus entstehen dann die wandfüllenden Gebilde. 


Die Ausschnitte zeigen die Vielfalt der Techniken
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Die "Vorhänge" aus Kupferdraht wirken fast filigran









Rising Sea, 2019. Ein deutlicher Hinweis auf die Umweltbedrohung durch die Erderwärmung




«Kuratoren und Sammler von El Anatsuis Skulpturen tun sich häufig schwer damit, dass der Künstler ihnen bei der Installation seiner Werke wichtige Entscheidungen aufbürdet. (…) Er stellt sich bewusst gegen das verständliche Bedürfnis der Sammler und Kuratoren, seine Arbeiten mit nahezu sakraler Pietät zu behandeln: Für ihn sind es vielmehr Spielobjekte, die man anfassen und neu arrangieren soll, ohne sich im einzeln oder überhaupt auf sein ursprüngliches Konzept zu berufen» (Chika Okeke-Agulu, übersetzt von Suzanne Schmidt).


 
Für diejenigen, die die Ausstellung in München nicht gesehen haben: Das Kunstmuseum Bern stellt in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kunste vom 13.03. - 21.06.2020 die Werke ebenfalls unter dem gleichen Ausstellungstitel aus.

In dem Sinne darf man gespannt sein auf die Arrangements im Berner Kunstmuseum.

Quellen:

- Okwui Enwezor, A Ceaseless Search for Form / Unaufhörliche Suche nach der Form;
- Robert Storr, Ambition / Aufs Ganze
- Chika Okeke-Agulu, El Anatsui's Metamorphic Sculptures / El Anatsuis metamorphe Skulturen
 (alle drei erschienen im Parket 90, 2012

Broschüre, herausgegeben vom Museum Haus der Kunst, München anlässlich der Ausstellung "Triumphant Scale", 2019

https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=zguexoZcV7U
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/ttt-31032019-el-anatsui-video-100.html





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